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9. Januar 2023

Blindenschrift - Was du immer schon über BRAILLE wissen wolltest

Die Blindenschrift Braille ist eine taktile (also tastbare) Punktschrift, die 1825 vom 16-jährigen Louis Braille erfunden wurde. Die Schriftzeichen sind aus kleinen, erhabenen Punkten zusammengesetzt, die von der Rückseite aus in Papier gedrückt werden. Blinde und Menschen mit Sehbehinderung können diese Punkt-Buchstaben mit den Fingern ertasten und so Texte oder ganze Bücher lesen. Braille ist simpel und genial. Sie beruht in der Basis auf sechs Punkten: drei in die Höhe mal zwei Punkte in der Breite. Insgesamt ergeben sich somit 64 unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten, mit denen Buchstaben, Zeichen und Zahlen dargestellt werden.

Die BRAILLE-Schrift findet international Anwendung und wird überall auf der Welt von links nach rechts gelesen, unabhängig davon, wie die Sehenden in dem jeweiligen Land ihre Texte lesen. In jeder Sprache, in der viel geschrieben wurde, gibt es auch eine BRAILLE-Schrift.

In unserer inklusiven Ausbildung für Trainer:innen in der Erwachsenenbildung (Vollzeit oder berufsbegleitend) dürfen sich die Teilnehmer:innen auch darin ausprobieren, diese Schrift zu lesen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, gar nicht so einfach, es braucht schon einiges an Übung, aber es funktioniert. Unser blinder Trainer Harald Fiedler lässt die Teilnehmer:innen durch verschiedene Übungen und Spiele in die Selbsterfahrung als blinde Menschen eintauchen.

Wie viele Blinde können die Blindenschrift BRAILLE?

Nur etwa 10% der blinden Menschen können BRAILLE lesen. Die meisten haben es nie gelernt. Was zum einen sicherlich dem technologischen Fortschritt geschuldet ist, der es blinden Menschen ermöglicht, sich die meisten Texte vorlesen zu lassen. Im öffentlichen Leben wird BRAILLE noch immer sehr selten verwendet, so dass auch hier der Bedarf für Blinde nicht so groß ist, diese Schrift zu erlernen.

So werden zB kaum Ausweiskarten mit BRAILLE gekennzeichnet, um Blinden das Erkennen zu erleichtern. In Österreich wird lediglich auf der eCard das SV für Sozialversicherung in BRAILLE eingedruckt. Auf Ausweisen wie dem Personalausweis hingegen nicht. Lediglich der Behindertenpass verwendet BRAILLE. Dieser gilt immerhin in ganz Österreich als amtlicher Lichtbildausweis.

In Deutschland kann man sich eigene BRAILLE-Aufkleber für seinen Ausweis besorgen. Vorbildlich sind manche Restaurants, die ihre Speisekarten auch in BRAILLE anbieten. Medikamentenpackungen müssen gesetzlich mit BRAILLE versehen sind, damit Betroffene wissen, welches Medikament sie einnehmen. Es gibt Kinderbücher und Brett- und Kartenspiel in Braille.

Die meisten Menschen sind nicht von der Kindheit an blind, sondern erblinden erst im Laufe ihres Lebens. Je später es zu einer Erblindung kommt, desto schwieriger wird es, BRAILLE zu lernen, da die Tastsensibilität mit zunehmendem Alter abnimmt. BRAILLE wird standardmäßig von blinden Kindern erlernt, egal ob sie in einer eigenen Klasse für Blinde oder in einen inklusiven Klasse die Schule besuchen.

Die Menschen in unserer Gesellschaft werden immer älter und somit nehmen auch typische Alterserscheinungen zu, zu denen auch diverse Sehbeeinträchtigungen und Blindheit zählen. Laut Statista liegt in Deutschland die Hauptursache von Erblindung mit über 40% bei der altersbedingten Makuladegeneration (AMD). Es macht also durchaus Sinn, dass wir uns generell Gedanken darüber machen, wie wir für eine immer älter werdende Gesellschaft, die sehr wahrscheinlich nicht dauerhaft am neuesten Stand der Technologie oder Digitalisierung wird bleiben können, eine möglichst barrierefrei Welt erschaffen. Und da gehört zB das Interagieren mit Behörden genauso dazu wie das Informieren über aktuelle Weltgeschehnisse, Einkäufe und andere Besorgungen erledigen usw.

Ganz alltägliche Dinge werden für Menschen mit Behinderungen, nicht nur Blinden, zu einer oft unüberwindbar scheinenden Herausforderung. Nicht zu unterschätzen auch das Schamgefühl das damit einhergeht, dass diese ihr Leben lang eigenständigen Menschen plötzlich auf so extrem viel fremde Hilfe angewiesen sind. Wenn wir uns wünschen, dass auch die älterwerdenden Generationen noch lange aktive und eigenständige Mitglieder dieser Gesellschaft bleiben können, muss Barrierefreiheit im Alltag unser klar erklärtes Ziel sein.

Unser Beitrag von Inclusion24 zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft.

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Wo wünschen sich Blinde BRAILLE im Alltag?

Nachgefragt bei Blinden aus Wien, wo wäre heutzutage im Alltag BRAILLE Schrift zusätzlich noch sehr wertvoll:

  • An Treppengeländern bei U-Bahnen - zB "Abgang zur U3 Richtung Simmering" in BRAILLE angedruckt. Dafür gibt es bereits technische Lösungen und sehr wahrscheinlich würden es auch ein paar stabilere Aufkleber tun.
  • Auf Kundenkarten wäre sie auch hilfreich, weil sich diese Kundenkarten fast alle gleich anfühlen (nach dem Vorbild der SV Karte/ eCard in Österreich oder mit Braille-Aufklebern wie in Deutschland für Ausweise möglich).
  • Dass mehr Restaurants Speisekarten in Braille anbieten, die auch aktualisiert werden oder online barrierefrei lesbar sind.

Hilfsmittel für Blinde zum Lesen und Schreiben

Blinde Menschen, die gerne BRAILLE lesen, können sich mit Hilfe einer BRAILLE-Zeile, einem technischen Gerät ähnlich einer Computer-Tastatur, digitale Texte über diese BRAILLE-Zeile anzeigen lassen. Dies ermöglicht ein stilles Lesen ohne Audio. Für die Braillezeile am Computer, der 256 Zeichen unterscheiden können muss, wurde eine weitere spezielle Form mit 8 statt 6 Punkten entwickelt. Auch für Musiknoten, mathematische Formeln oder Schach gibt es jeweils ein spezielles Braille-System.

Eine besondere Bedeutung kommt der Braille-Zeile beim Thema Rechtschreibsicherheit zu, weil man hier weiß, wie ein Wort geschrieben wird. Sehende, die es gewohnt sind, mit der Autokorrektur oder Autovervollständigung in Nachrichten-Apps und dergleichen zu arbeiten, werden dieses Problem kennen, dass man ohne diese technische Unterstützung oft nicht mehr sagen kann, wie ein Wort korrekt geschrieben wird.

Hände, die eine Braille Zeile nutzen
BRAILLE-Zeile - Fotocredit: Inclusion24

Sollte jemand BRAILLE selbst schreiben wollen, verwendet er dafür eine sogenannte BRAILLE-Tafel. Die kann man sich wie eine zweiteilige Schablone vorstellen, zwischen die ein dickes Blatt Papier geklemmt wird, welches dann mithilfe eines Griffels über die Ausstanzungen in der Schablone bedruckt wird. Dank der technischen Entwicklungen bedienen sich Blinde jedoch mehr der Vorteile der digitalen Welt mit Smartphone, Smartwatch oder Tablet, welche ihnen die schriftliche Kommunikation deutlich erleichtern. Es gibt einige Druckereien, die auch BRAILLE-Druck anbieten.

Braille-Tafel
BRAILLE-Tafel - Fotocredit: sleepytomcat (Jens Kraglund)

Es gibt auch noch die Blindenschrift-Maschine mit 6 Tasten (siehe "Perkins Brailler"), welche sich immer noch großer Beliebtheit erfreut. Sie ermöglicht ein Schreiben auf Papier ähnlich einer analogen Schreibmaschine, wie sie vor Computerzeiten von Sehenden verwendet wurde. Eigene Braille Tastaturen fürs Smartphone erleichtern zudem die digitale Kommunikation für zB Kurznachrichten.

Braillle-Maschine von Perkins
Moscow, Russia - June 5, 2021: Perkins Brailler, manual braille typewriter machine. The first Perkins Brailler was produced in 1951 by David Abraham, teacher at the Perkins School for the Blind

Blindenkurzschrift - einfacher für den Alltag

Während auf eine gewöhnliche A4 Seite etwa 3.500 Zeichen in normaler Schwarzschrift (wie jene Schrift genannt wird, die sehende Menschen verwenden) passen, gehen sich auf dem selben Platz nur etwa 1.000 Braille-Zeichen aus. So kommt es, dass ein Buch in Braille-Schrift gleich aus mehreren Bänden besteht. Daher gibt es eine Blindenkurzschrift, welche mit Kürzel für Vor- und Nachsilben, für bestimmte Lautgruppen und sogar für ganze Wörter oder Wortstämme arbeitet. Die Kurzschrift kürzt einen Vollschrifttext um 25 bis 30%.

Nachdem diese in den unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich sind, ist diese Kurzschrift nicht international, sondern in jeder Sprache gibt es eine eigene. Sprich ein blinder Österreicher, der BRAILLE und Englisch beherrscht, könnte dennoch keinen Text in englischer Blindenkurzschrift lesen, ohne die englische Kurzschrift nicht extra erlernt zu haben. Um Kurzschrift im deutschsprachigen Raum beherrschen zu können, muss man etwa 350 Kürzel kennen. Nachdem die Kurzschrift die gängige "Verkehrsschrift" ist, macht das Erlernen absolut Sinn, nimmt jedoch entsprechend Zeit in Anspruch. Es gibt zudem eine eigene Form der Stenografie für Blinde. Blinde arbeiten zB bei Gericht als Protokollführer:innen.

Taublinde - Blind und taub, wie kommuniziert man da?

Problematisch wird es für blinde Menschen, wenn diese zusätzlich eine starke Hörbeeinträchtigung haben, so genannte Taubblinde. Man schätzt, dass es zwischen 1.400-1.600 Betroffene in Österreich gibt. Diese Personen zählen zu den am meisten ausgegrenzten Personengruppen, da sie nur sehr schwer mit ihrer Umwelt kommunizieren können. Diese Personen verständigen sich oft via "Lormen", einem im 19. Jahrhundert vom Philosophen, Dichter und Schriftsteller Hieronymus Lorm entwickeltes Tastalphabet.

Dank der digitalen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben jene, die später erst taub geworden sind und früher als Blinde die Blindenschrift erlernt haben, über die Braille-Zeile die Möglichkeit, am Leben und dem Geschehen in der Gesellschaft teilzunehmen. Ansonsten sind so banal anmutende Dinge wie Nachrichten konsumieren für Betroffene alleine unmöglich.

Bildung für Blinde

Die Braille-Schrift hat überhaupt erst Bildung für Blinde ermöglicht. Dennoch ist der Zugang zu Bildung für viele Blinde immer noch sehr eingeschränkt. Nur geschätzt etwa 1/3 der Bücher vom normalen Büchermarkt werden übersetzt in BRAILLE und können in Blindenschrift-Bibliotheken ausgeliehen werden. Blinde Studierende an Hochschulden sind auf digitale Fachliteratur angewiesen. Wenn die Lehrkörper nicht dazu in der Lage sind, diese zeitnah zur Verfügung zu stellen, können sich Blinde den Stoff nicht aneignen.

Es gibt einiges Standardwerke in BRAILLE, doch in aller Regel werden digitale Buchformate bevorzugt. Meistens muss analoger Lernstoff erstmal mit einer Texterkennungssoftware eingescannt werden und dann nochmal von einer sehenden Person Korrektur gelesen werden und um Alternativtexte zu Bildern etc ergänzt werden. Denn leider stellen die wenigsten Buchverlage digitale Versionen ihrer analogen Bücher zur Verfügung und berufen sich dabei auf das Urheberrecht.

Leeres Klassenzimmer (keine Menschen, nur Möbel und eine Tafel)
Bildung für Blinde - Fotocredit: Depositphotos

Kommen wir zu unserem Schlusswort:

"Jeder Punkt ist ein Gewinn." (Harald Fiedler, trotz-dem.at) Jede/r, der die Blindenschrift gelernt hat, weiß ihren Wert zu schätzen und wird sie auch nicht missen wollen.

Danke an Harald & Sabine Fiedler für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Blogartikels und zur Verfügung stellen von Bildmaterial.

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