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14. Oktober 2022

Aktiv und selbständig als blinder Mensch

Unser Trainer Eduard Holubarz ist blind. Als ich ihn vor einem Jahr während der Trainer:innen Ausbildung bei der Inclusion24 kennen gelernt habe, war ich positiv überrascht. Ich erlag, wie vermutlich viele Sehende, der Annahme, dass blinde Menschen sehr stark eingeschränkt und ebenso stark von fremder Hilfe im Alltag abhängig sind. Edi, wie ich ihn nennen darf, hat mich jedoch eines besseren belehrt.

Anlässlich der Woche des Sehens habe ich Edi interviewt. Für mich ist er ein schönes Positivbeispiel dafür, dass jede/r selbst entscheidet, wie sehr ihn/sie seine/ihre Behinderung beeinträchtigen darf. Er macht das Beste aus seinen Möglichkeiten und ist glücklich.

Edi hat, wie die meisten erwachsenen Männer, Familie gegründet. Er hatte zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn einen sicheren Job im Jugendgerichtshof, in dem er vorwiegend Protokolle und Transkripte angefertigt hat. Diesen hat er aufgegeben, um sich als Trafikant mit seinem eigenen Geschäft selbständig zu machen. Meine Frage, ob ihm da von Seiten der Behörden Hürden in den Weg gelegt worden sind aufgrund seiner Behinderung, verneinte er. Im Gegenteil, die Leute schienen positiv überrascht über seinen Mut zur Selbständigkeit. Er hat auch lange Zeit als Trainer im EDV Bereich gearbeitet und Menschen mit Sehbehinderung im Einzeltraining auf Computeranwendungen eingeschult.

Heute ist er neben seiner unternehmerischen Tätigkeit auch als Mediator, Trainer und Coach tätig. Er begleitet u.a. Unternehmer bei betriebswirtschaftlichen und Führungsthemen. Als Mediator wird er gerne gebucht. Er hat aufgrund seiner Sehbehinderung ein gutes Gespür für Stimmungen und Gefühle von Menschen entwickelt. Irgendwie, so mein persönlicher Eindruck, wirkt er aufgrund seiner Blindheit auch weniger einschüchternd und neutraler, was in so einem Setting gewiss von Vorteil ist.

Privat ist Edi ebenfalls sehr aktiv. Zu seinen Hobbies gehören: das Kindersitten seiner Enkerl, Fitnessstudio, Schwimmen, Sauna, Surfen und ins Theater gehen*. Generell ist er ein sehr geselliger Typ, der sich gerne mit Familie und Freund:innen zum Essen verabredet. Er hat ein Stelzenhaus am See, welches er alleine (!) mit einem Boot erreichen kann. Für mich als Sehende kaum vorstellbar, wie ein Blinder das bewerkstelligt ohne sehende Begleitung. Edi profitiert hier von seiner hohen technischen Affinität, denn es gibt heutzutage schon echt viele gute Hilfsmittel für blinde Menschen, wie er mit erzählt. Unter anderem eine Orientierungsapp, die es ihm ermöglicht, alleine ein Boot auf einem See zu steuern. Surfen tut er dann aber doch nur in Begleitung 😉

* Im Theater in der Josefstadt bzw. im Volkstheater findet 1x/ Monat ein Theaterstück mit extra Bildbeschreibung für Menschen mit Sehbehinderung statt

Natürlich wollte ich von Edi wissen, was sein Erfolgsgeheimnis ist. Er meinte, das wichtigste ist, dass man neugierig und offen für Neues bleibt. Diese Haltung hat in euch zur Trainer:innen-Ausbildung geführt, denn ähnlich wie ich, war er bereits viele Jahre als Trainer aktiv gewesen, hatte jedoch nie ein Zertifikat gemacht. Er hat den Austausch mit anderen Kolleg:innen in der Ausbildung sehr genossen, wie er selber sagt. Siehe dazu auch das Video-Interview.

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Ich habe ihn gefragt, was er glaubt, was ihm am meisten geholfen hat (neben seiner technischen Affinität), um so selbständig und selbstbestimmt durchs Leben zu gehen. Er ist immer raus gegangen, wollte Menschen und Neues kennenlernen. So entstehen Beziehungen, er lernt laufend dazu und gute Netzwerke und starke Beziehungen machen vieles möglich, was auf den ersten Blick unmöglich erscheint.

Im Alltag probiert er immer wieder neue Wege aus, sowohl um von A nach B zu kommen, aber auch um sich einer Problemlösung zu widmen. Aber er kennt auch seine Grenzen. Zum Beispiel würde er niemals auf ein kleines Kind unter 4 Jahren auf einem nicht eingezäunten Spielplatz aufpassen. Das wäre zu riskant.

Auf die Frage, ob er in seinem Alter noch große Visionen oder Lebensziele hat, sagte er: "Ja, meinen Enkerln beim Großwerden zuschauen!"

Wir haben uns natürlich auch darüber unterhalten, was es seiner Erfahrung und Einschätzung nach Menschen mit Sehbehinderungen derzeit in Österreich (Wien) noch schwer macht, selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten.

Im Bereich Verkehr gibt es einige Mankos, wie immer leiser werdende Fahrzeuge - sowohl ein- als auch mehrspurige Fahrzeuge. Nachdem das Fahrrad speziell in Wien in den letzten Jahren als beliebtes Fortbewegungsmittel einen regelrechten Hype erfahren hat, stehen natürlich auch viel mehr parkende Fahrräder auf der Straße herum, was das freie Navigieren durch die Stadt erschwert. Von mitten am Gehsteig oder an Haltestellen rumstehenden Elektro-Rollern mal ganz zu schweigen.

Beim Verkehr wird zwar seit Jahren viel versprochen, aber zu wenig umgesetzt, sagt er. Und auch bei baulichen Vorhaben wird immer noch auf eine Anpassung zur Barrierefreiheit im Nachhinein gesetzt, anstatt diese Aspekte bereits in der Planungsphase zu berücksichtigen. Was nachweislich teurer kommt. Wie Edi richtig sagt, wird es immer wichtiger werden in einer immer älter werdenden Gesellschaft, dass es ausreichend barrierefreie Wohnungen, Geschäfte, Ämter, Arztpraxen usw. gibt.

Obwohl es Vorschriften für ein barrierefreies Internet gibt, halten sich die wenigsten Webseitenbetreiber daran. Aufgrund der Komplexität der Inhalte (mehr Funktionen, Informationen, Werbung) auf einer Webseite oder in einer Applikation, wird es für blinde Menschen immer schwieriger, obwohl die sich die technischen Hilfsmittel sehr gut weiterentwickelt haben.

In seinem Beruf als Trafikant hat er Herausforderungen damit, das Jugendschutzgesetz einzuhalten, da er keine Ausweise überprüfen kann. Auch die Kontrolle von höherwertigeren Euro-Geldscheinen ist aufgrund der einheitlichen Größe ein Problem.

Für ihn wäre es schön, wenn Anlaufstellen auch telefonisch erreichbar wären. Vielerorts bekommt man Support jedoch nur noch über FAQs und Chatbots auf Webseiten, direkte Kontaktmöglichkeiten gibt es kaum. Auch sich ständig ändernde Webseiten, wie jene der Sozialversicherung für Selbständige, machen eine Orientierung schwierig.

Es gibt aber auch viel Positives. Edi merkt deutlich, dass die Sensibilisierung und Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen sich in unserer Gesellschaft bereits verbessert hat. Er hat nicht mehr das Gefühl, als minderwertiger, hilfsbedürftiger Mensch angesehen zu werden. Das Wissen über den Umgang mit Menschen mit Behinderungen nimmt zu - z.B. wie führe ich einen blinden Menschen?

Laut Edis Einschätzung hat das viel damit zu tun, dass Menschen mit Behinderungen mittlerweile fixer Bestandteil von Medienproduktionen sind. Auch wenn diese oft noch nur inklusiv gemeint, aber nicht inklusiv. Aber alleine die Tatsache, dass Filme mit Menschen mit Behinderungen zu Kassenschlagern werden (berühmtes Beispiel: Ziemlich beste Freunde), trägt positiv dazu bei, dass Menschen mit Behinderungen anders wahrgenommen werden. Ich persönlich bin ja ein Riesenfan vom blinden Marvel Superhelden Daredevil, über den bereits Filme und Serien gemacht wurden.

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